Theater | 1959–1969

1959

Dank der Fürsprache des Schauspielers Jan Werich bekommt er eine Stelle als Bühnentechniker am Theater ABC. Aufgrund dieser Erfahrung entschließt er sich, sein Leben langfristig mit dem Theater zu verknüpfen.

1960

Er arbeitet als Bühnentechniker im Theater Am Geländer (Na zábradlí). Später darf er auch als Dramaturg und Regieassistent arbeiten und ist als Autor an mehreren Theaterstücken beteiligt. Er lernt den Regisseur Jan Grossman kennen, der dem jungen Autor mit Rat und Tat zur Seite steht. Gleichzeitig arbeitet er an den Prager Stadttheatern (Městská divadla pražská) als Assistent eines der berühmtesten tschechischen Theaterregisseure Alfréd Radok.

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3. Dezember 1963

Uraufführung des Theaterstückes „Das Gartenfest“ am Theater Am Geländer (Regie: Otomar Krejča). Ein strebsamer junger Mann namens Hugo Pludek begreift schnell die Erfolgsgesetzmäßigkeiten und dank seiner Fähigkeit sich gut anzupassen und leere Phrasen zu dreschen, fügt er sich schnell in die Gesellschaft der Funktionäre des Amts für Eröffnung und des Amts für Auflösung ein. Im Wirbel der Karrieremechanismen erlischt seine Persönlichkeit – sofern er überhaupt je eine hatte. Das Theaterstück, das als originelle tschechische Variante des Absurden Theaters gilt, findet großen Widerhall. VH wird dadurch zu einer der markantesten Persönlichkeiten der tschechischen Kulturszene.

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9. Juli 1964

VH heiratet nach achtjähriger Bekanntschaft Olga Šplíchalová (geb. am 11. 7. 1933). Die Ehe dauert mehr als 30 Jahre an.

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Oktober 1964

Erster Erfolg im Ausland – deutsche Uraufführung des Theaterstückes „Das Gartenfest“ im Schillertheater in West-Berlin. Dank Klaus Juncker vom deutschen Rowohlt-Verlag werden Havels Theaterstücke auf vielen internationalen Bühnen aufgeführt. Juncker wird zu Havels Freund und Literatur- und Theateragenten. In schweren Zeiten ist er für Havel ein wichtiger Kontakt zur freien Welt.

1965

Uraufführung des Theaterstückes „Die Benachrichtigung“ (Regie: Jan Grossman). Es ist ein Schauspiel über Machtmechanismen; die neu eingeführte künstliche Sprache Ptydepe wird zum Instrument der Beherrschung der Gesellschaft durch Bürokratie.

KALOUS (steht auf): Könnten Sie uns sagen, welches das längste Wort in Ptydepe ist? (Setzt sich.)
PERINA: Gewiss. Es ist die Bezeichnung für die Flussschwalbe. Sie besitzt 319 Buchstaben. Aber weiter: Wie löst Ptydepe das Problem der Übersichtlichkeit und Aussprechbarkeit so langer Wörter? Ganz einfach: Die Buchstaben werden im Wortinnern hier und da von Zwischenräumen unterbrochen, so dass jetzt das Wort aus einer bestimmten kleineren oder größeren Anzahl sogenannter Unterwörter gebildet wird. Dabei aber ist die Länge der Wörter nicht zufällig, wie eigentlich nichts in Ptydepe zufällig ist. Der Wortschatz von Ptydepe ist zunächst nach einem ganz logischen Prinzip aufgebaut. Je allgemeiner die Bedeutung, desto kürzer das Wort. So heißt beispielsweise der bis jetzt unbestimmte Begriff «irgend etwas» in Ptydepe «gh». Das ist also ein Wort von nur zwei Buchstaben. Es gibt zwar noch ein kürzeres Wort, nämlich «f», es hat aber vorläufig noch keinerlei Bedeutung. Kann mir einer von Ihnen sagen weshalb? Na?
(Nur Kalous meldet sich.)
Ja, Kalous?
KALOUS (steht auf): Das ist für den Reservefall, falls die Wissenschaft noch etwas Unbestimmteres als «irgend etwas» entdecken sollte.
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März 1965

VH wird Mitglied des Redaktionsrats der literarischen Monatszeitschrift Tvář (Das Antlitz). Die offen publizierten kritischen Ansichten stoßen bald auf Unverständnis offizieller Institutionen. VH engagiert sich zum ersten Mal als Bürgeraktivist, setzt sich für die Erhaltung der Zeitschrift ein, organisiert eine Petition gegen ihre Einstellung. Die Staatsmacht ist jedoch stärker, und so wird 1966 die Herausgabe der Zeitschrift eingestellt.

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1966

Sein erstes Buch – der Sammelband „Protokolle“ – wird herausgegeben, wo u. a. Texte der Theaterstücke „Das Gartenfest“ und „Die Benachrichtigung“, die Sammlung von grafischen Gedichten „Antikodes“ und weitere Texte veröffentlicht werden.

1966

Er beendet das Dramaturgiestudium an der Theaterfakultät der Akademie der musischen Künste in Prag. Im Rahmen seiner Diplomarbeit verfasst er ein neues Theaterstück „Eduard“ (später unter dem Titel „Erschwerte Möglichkeit der Konzentration“ aufgeführt) und erarbeitet dessen theoretische Analyse.

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1967

VH tritt mit einer Rede vor dem IV. Kongress des Verbands Tschechoslowakischer Schriftsteller auf, was als Anfang seines öffentlichen Engagements im Prager Frühling und im Prozess der Wiedergeburt der tschechischen Gesellschaft zu betrachten ist.

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1968

In den Ereignissen des sog. Prager Frühlings sieht VH mehr als bloß eine Gelegenheit zur Reform des Kommunismus. Von der aufgerührten, revoltierenden Stimmung der Gesellschaft Abstand haltend, setzt er energisch sein Ringen um die Existenz der eingestellten kritischen Zeitschrift Tvář fort, beteiligt sich an der Reform des Schriftstellerverbands, wird Mitbegründer des Kreises unabhängiger Schriftsteller und Vorsitzender des Koordinierungszentrums unabhängiger Organisationen, wo sich die neu entstehenden Oppositionskräfte formieren, unter andrem der Klub engagierter Nichtparteilicher (KAN), der Verband ehemaliger politischer Gefangener K231 und die Soziale Demokratie. Außerdem veröffentlicht er in den Literarischen Blättern (Literární listy) einen Artikel „Zum Thema der Opposition“, in dem er vorschlägt, das Monopol der Kommunistischen Partei aufzuheben.

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25. Februar 1968

In München stirbt sein Onkel Miloš.

1968

Uraufführung des Schauspiels „Erschwerte Möglichkeit der Konzentration“, das sich mit der künstlichen Intelligenz befasst und die Robotisierung der menschlichen Existenz karikiert.

HUMLOVÁ: Vielleicht liebst du sie tatsächlich...
HUML: Du weißt doch, dass das nicht der Fall ist!
HUMLOVÁ: Wirklich ? !
HUML: Sie reizt mich nur geschlechtlich, und das auch schon nicht mehr wie am Anfang.
HUMLOVÁ: Was antwortest du überhaupt, wenn sie dich fragt, ob du sie liebst?
HUML: Was das anbelangt, so versuche ich, das Gespräch auf ein anderes Thema zu bringen. Nimmst du auch?
HUMLOVÁ: Das ist recht! — Kannst mir eins streichen...
HUML bestreicht ein Brötchen mit Honig: Ein paarmal allerdings hat sie mich in die Enge getrieben, so dass ich eine positive Antwort geben musste.
HUMLOVÁ: Aus dem Herzen ist es aber nicht gekommen, oder?
HUML: Aber nein. — Hier, bitte... Huml reicht Humlova das mit Honig bestrichene Brötchen.
HUMLOVÁ: Du, Edi...
HUML: Hm...
HUMLOVÁ: Versprich mir, dass du endlich in einer passenden Form Schluss machst!
HUML: Ja!
HUMLOVÁ: Wir können so nicht weiterleben! Ich leide mehr darunter als du glaubst. Am schlimmsten ist es immer am Abend, wenn ich zu Hause sitze, deine Socken oder Unterhosen flicke und dabei weiß, dass du bei ihr bist, dass du dich vergnügst, dass du unser Geld ausgibst, dass du mit ihr in unserem Wagen fährst, dass du sie küsst... Pause. Wahrscheinlich kommt es dir albern vor, aber weißt du, was mich in solchen Augenblicken am meisten quält?
HUML: Was denn?
HUMLOVÁ: Die Vorstellung, dass du mit ihr gerade schläfst!
HUML: Du weißt doch genau, dass ich nicht oft mit ihr schlafe, wir haben doch keine Bleibe. Meist endet es nur mit einer Küsserei, höchstens mit einem Betasten des Busens. — Gib mir noch ein Brötchen!
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1968

VH verbringt den Frühling in den USA, nimmt an der Uraufführung seines Theaterstückes „Die Benachrichtigung“ in New York teil, knüpft Kontakte mit tschechoslowakischen Intellektuellen im Exil. Er ist von Amerika begeistert, genau wie früher sein Vater, lässt sich von der amerikanischen Kultur der 60er Jahre inspirieren (Musik, Menschenrechtsbewegung, Hippies). Bald nach seiner Rückkehr aus Amerika begibt er sich auf eine Reise durch Westeuropa.

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1968

Im Sommer 1968 (noch vor der Besetzung der Tschechoslowakei im August) verlässt er die Stelle des Dramaturgen am Theater Am Geländer und ist seither als freischaffender Schriftsteller tätig.

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August 1968

Die Nachricht von den dramatischen Ereignissen – der Besetzung der Tschechoslowakei durch die Truppen des Warschauer Paktes – erreicht VH in Liberec (Nordböhmen). Er beteiligt sich intensiv an der bürgerlichen Widerstandsbewegung und schreibt eine Reihe von Erklärungen über die Notwendigkeit und möglichen Formen des Widerstands gegen die Okkupation, die vom Studio Liberec des Tschechoslowakischen Rundfunks ausgestrahlt werden (gelesen von seinem Freund Jan Tříska).

Findet neue Ideen, wie man kämpfen soll! Organisiert euch, versichert euch der Verbindung untereinander, gründet Aktionszellen, koordiniert ihre Tätigkeit, knüpft ein Netz von Verbindungen, geht organisiert vor. Bündelt eure Bemühungen. Schonen wir unsere Kräfte. Ein Aufruf, den eine ganze Stadt unterschreibt und den die ganze Welt hört, ist wirksamer als zehn isolierte und sich überschneidende Aufrufe. (…) Es gibt Situationen, in denen man der Wahrheit am besten durch List dient. Denkt euch solche Listen aus. Möge der Intellekt über die Brutalität, die Humanität über die Bestialität, die Solidarität über den Befehl, die Disziplin des Gewissens über die Disziplin der Pistole siegen. Unsere Sache muss siegen, sei es vielleicht auch auf eine Art, von der niemand je angenommen hat, dass sie siegen könnte. Vielleicht schreiben wir ja dadurch eine Lehre in die Menschheitsgeschichte ein, die nützlich für all diejenigen sein wird, die wann auch immer und wo auch immer auf die Freiheit von wem auch immer spucken wollen, wie unsere Okkupanten in unserem Land auf sie zu spucken versuchen. (Liberec, 23. August 1968)
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